Stille Pfade am Pfänder 1 | © Dav-FN / C. Hatger

Stille Pfade

21.09.2024

Bericht und Fotos Carsten Hatger

Bekanntlich ist der Pfänder mit einer Höhe von 1095 m ü. A. der Hausberg der Bewohner von Bregenz. Weniger bekannt hingegen ist die Tatsache, dass der Pfänder Teil einer Gebirgsgruppe ist, dem sogenannten Pfänderstock, die sich von Bregenz in Vorarlberg bis hin nach Lindenberg im bayerischen Allgäu erstreckt.

Zu dieser Gebirgsgruppe zählen damit auch die Berge Hochberg und Hirschberg. Die Besteigung aller drei Gipfel während einer Tour wird vom Tourismusbüro für die Region Bodensee-Vorarlberg vollmundig als “Drei-Tausender-Höhenrundweg” mit immerhin 490 Hm betitelt. Wer aber die echte Herausforderung sucht, der verzichtet auf den schönen Titel "Drei-Tausender-Wanderung" und versucht sich am Gipfel des Pfänders allein und kommt damit immerhin auf über 700 Hm. Das für sich mag zunächst gering erscheinen, ist allerdings schon beachtlich, wenn man bedenkt, dass bereits meine Vorbereitungen zur Tour für sich genommen als Herausforderung bezeichnet werden können. Wieso, weshalb und warum das so ist, das will ich versuchen im Folgenden nachzuzeichnen. 

Die Geschichte beginnt damit, dass ich kurz nach Erscheinen des Programms unserer Sektion begonnen habe zu prüfen, welche Tour denn wohl den Weg in meinen ganz persönlichen Terminkalender finden sollte. Ich war bislang noch nicht allzu häufig gemeinsam mit den Mitgliedern der Gruppe, die sich “Der Rucksack” nennt, unterwegs. Hier bestehen meinerseits also gewisse Restunsicherheiten, ob ich die von der Gruppe formulierten Erwartungen in Sachen Miteinander, Auf- und Ab, Hin- und Zurück und so weiter und so fort wohl gerecht werden kann. Kurzum, wir sind dabei, uns kennenzulernen und hoffentlich auch zu mögen. Als schließlich der Termin in greifbare Nähe rückt, meldet sich mein Gewissen und spricht: “Hör mal. Meinst du nicht, dass du die Tour auch ganz alleine schaffen wirst? Es ist doch nur der Pfänder.” Gesagt, getan und ich beginne mit meinen eigenen Überlegungen.

Die Anreise soll mit Mitteln des öffentlichen Personenverkehrs erfolgen - das eigene Auto fällt damit schon einmal aus. Es bleiben Bus und Bahn. Es ist nicht so, dass ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf Kriegsfuß stehe, ganz im Gegenteil: Ich mag Bus und Bahn. Es sind lediglich die Kundennähe, die angebotenen Preise, die Auffindbarkeit der günstigsten und gleichzeitig schnellsten Verbindung sowie die Zuverlässigkeit in der rechtzeitigen Erbringung der Transportleistung, die mir fehlen. Ich möchte dir die weiteren Details ersparen und gleich verraten, dass am günstigsten der fährt, der sich mit einem Ticket der eCard des Verkehrsverbundes bodo von Markdorf bis nach Lindau Reutin chauffieren lässt und anschließend mit einem Ticket des Vorarlberger Verkehrsverbundes vmobil von Lindau Reutin nach Bregenz Hafen transportieren lässt, Hin- und Rückfahrt eingeschlossen, versteht sich. Nein, die Fahrt mit dem nur sehr zurückhaltend angebotenen Bodensee-Ticket Ost (das im Übrigen nur am Automaten und nicht online erworben werden kann) ist nicht günstiger und nein, es ist nicht günstiger, das Ticket bei der Deutschen Bahn zu erwerben. Fakt ist, dass schon der Preis eines Tickets angeboten durch die Österreichische Bahn ÖBB günstiger ist als die von der Deutschen Bahn angebotenen Konditionen. Ich gewinne den Eindruck, dass die heimischen Verantwortlichen hier ihre Fürsorgepflicht zu ernst nehmen und damit verhindern wollen, mich günstig und einfach in das womöglich gefährliche benachbarte Ausland zu entlassen.

Das Wetter: Teilweise heiter mit Aussicht auf Gewitter und Regen bei Temperaturen von mehr als 15°C. Es ist eben diese Aussicht, die mich bereits Tage vor der Tour zweifeln lässt, ob das Event nun stattfinden kann oder sprichwörtlich doch ins Wasser fällt. Damit wäre ich nicht allein, denn in diesem, seit Beginn der Wetteraufzeichnungen niederschlagsreichsten, Jahr sind schon viele Veranstaltungen ausgefallen. In jedem Fall heißt es: Regenhose, Regenjacke und auch ein leichter Regenschirm kommen in den Rucksack. Sollten die Wetterkapriolen in Zukunft noch heftiger ausfallen, stellt sich für den gut vorbereiteten Kraxler - ich bin da eher pedantisch und lasse wenig Raum für Fehler - die Frage, ob denn wohl ein Tagesrucksack mit einem Volumen von unter zehn (10) Litern in Zukunft noch genügend Platz für all die möglichen Kleidungsstücke und Ausrüstungsgegenstände bietet, die sich bei Sonne, Regen und womöglich sogar noch Schnee als nützlich und hilfreich erwiesen haben.

 

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der Titel dieses Touren-Berichtes da lautet: “Stille Pfade”. Warum das Wörtchen ”still” so wichtig ist, offenbart sich relativ schnell, wenn man sich einmal nur die Anzahl der Besucher vor Augen hält, die per Seilbahn seit nunmehr fast 100 Jahren, genauer seit dem 20.03.1927, den Weg zum Gipfel suchen. Es sind im Durchschnitt täglich knapp 1.400 Personen. Das sind fast genauso viele Menschen wie laut Wikipedia (im Winter ;-) in Hagnau wohnen. Stellen wir uns also vor, ganz Hagnau pilgere pro Tag einmal per Bahn hinauf zum Pfänder. Ich bin einigermaßen sicher, dass es sich hierbei um den mengenmäßig größten Teil handelt und es damit in den Kabinen recht laut zugehen wird. Mir aber ist der Sinn nach mehr Ruhe. Also werde ich wohl zu Fuß gehen und dabei alles Ausgetretene verlassen, beschließe ich.

Der einfachste Weg ist natürlich der von Google Maps vorgeschlagene, der mich zunächst in Richtung Lochau, dann zum Wanderparkplatz Haggen und schließlich auf den Gipfel führt. Das Blöde daran: Der Weg ist geteert und auch per Automobil nutzbar. Das geht übrigens schon seit 1901, als zum ersten Mal der Gipfel des Pfänders per Automobil bestiegen wurde. So berichtet es ein Artikel der Wochenblatt-News vom August 2021 auf seiner Website. 

 

Ich sollte also doch lieber auf die Straße verzichten und mich solchen Wegen zuwenden, wie sie vom Portal des Tourismusverbandes Bodensee-Vorarlberg den Gästen empfohlen werden, denke ich. Zur Auswahl stehen zwei Touren: eine abwechslungsreiche und eine sportliche Talwanderung. Jeder der Tourenvorschläge für sich genommen mag ganz nett sein, hat aber einen ganz entscheidenden Haken: Es geht nur bergab, ich aber will ziemlich sicher auch bergauf.

Dann wird wohl ein Blick ins Portal alpenvereinaktiv.com helfen, beschließe ich und zücke mein Smartphone. Und ich werde fündig: Fünf halbwegs brauchbare Touren werden mir nach kurzer Recherche empfohlen, sogar eine als Premium Content - die leider nur nach Abschluss eines weiteren, kostenpflichtigen Abos wirklich nutzbar ist. Wirklich hilfreich sind die vorgeschlagenen Tourenbeschreibungen nicht, ausser dass mir jemand oder jefrau die Arbeit abgenommen hat, Start- und Zielpunkt der Wanderung mit (beliebig vielen) Etappenzielen so auszufüllen, dass völlig offen bleibt was mich erwartet: eine Herausforderung oder sogar ein Abenteuer? Unentdecktes Land oder doch eher eine Übung zur Steigerung der persönlichen Fitness? Vielleicht sogar ein wenig Nervenkitzel auf seilgesichterten Pfaden? Nette Gespräche mit freundlichen Menschen oder einfach nur die Auszeit vom täglichen Allerlei?

Einigermaßen verunsichert, öffne ich eine weitere App zur Tourenplanung und prüfe hier ebenfalls das Angebot. Schnell zeigt sich, welches die wohl populärste Tour auf den Pfänder sein wird und welche ich also ganz im Sinne der “Stillen Pfade” meiden möchte. Allerdings wird mir auch klar, dass die angebotenen Attribute einer Tour wie Technik, Kondition, Landschaft und Erlebnis zumindest dem Bedürfnis nach Stille nicht wirklich gerecht werden können. Schließlich lege ich das Smartphone genervt zur Seite. 

Keine Lösung ist auch eine Lösung, denke ich und erinnere mich dabei an ein Telefonat mit meiner Tochter. In dem Gespräch ging es um die Beobachtung, dass die Qualität von mehreren in Reihe getroffenen Entscheidungen über die Zeit abnimmt. Das Phänomen nennt sich “Decision fatigue” und soll laut Wikipedia der Grund dafür sein, warum Marc Zuckerberg, Barack Obama und Steve Jobs ihre Anzahl möglicher Outfits auf ein Minimum beschränkt haben. Ich beende also meine Suche nach möglichen weiteren Alternativen, beschließe den Kollegen nachzueifern und treffe eine letzte Entscheidung: Ich werde mich fortan dem Rucksack für weitere Touren anschließen. Erschöpft falle ich ins Bett.

Von nun an geht es deutlich leichter voran. Ich finde mich am Donnerstag vor der Tour im DAV-Haus zur traditionellen Vorbesprechung ein. Organisator der Tour, Stefan, lässt sich entschuldigen. Das macht aber nichts, weil die einzig vorzubereitenden Dinge die Verabredung eines Treffpunktes am Bahnhof, der Zeitpunkt der Abfahrt und der Austausch von Kontaktdaten sind. Zudem erhalte ich hier die Gelegenheit weitere, mir unbekannte Teilnehmer*innen bereits vor Beginn der Tour ein wenig zu beschnuppern. 

 

Am folgenden Sonntag geht es los. Wir reisen zu sechst (Carsten, Dirk, Felix, Iris, Jutta & Stefan) mit der Bahn zur erträglichen Zeit zum Bahnhof Bregenz Hafen. Nach einem kurzen Stück entlang des Ufers in Richtung Norden überqueren wir die Gleise und schlagen uns schon nach wenigen hundert Metern irgendwo links einer Hausecke ins grüne Gebüsch. Kein Wegweiser, keine Schilder, nichts - nur ein schmaler Pfad im beginnenden Wald deutet an, wohin es geht: Aufwärts. Was zunächst noch relativ harmlos beginnt, wächst sich nach einer Stunde Fußweg durch dichtes Holz und Gebüsch über Wurzeln und Stein zu einer - zumindest für mich - einigermaßen fordernden Veranstaltung aus, es geht entlang der Linie des stärksten Anstiegs - der Direttissima - hinauf nach Hintermoos. Bis hierhin soweit ganz ordentlich: Kein Mensch, kein Bike, nur Pfade, hier und da ein Tobel, unsere kleine Gruppe und reichlich Natur im ziemlich feuchten Frühsommer. Danach geht es dann sehr bald auf unvermeidbaren und leider auch asphaltierten Wegen weiter bis hinauf zum Gipfel. Die Technik am Armband verrät folgendes: Unser Grüppchen hat im Aufstieg knapp sechs (6) Kilometer in zwei Stunden und zweiundzwanzig Minuten zurückgelegt und ist dabei 770 Hm und 112 Hm bergab gelaufen. Oben angekommen, mümmeln wir unsere Karotten, futtern die mitgebrachten Stullen und stärken uns gemeinsam mit all den anderen Tagesgästen bei Kaffee und/oder Kuchen aus dem Kiosk am “Gipfelkreuz”. 

Schon bald nach der Pause brechen wir auf, um abzusteigen. Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags. Am Himmel kündigt sich bereits der baldige Wetterumschwung und damit auch der für 14 Uhr angekündigte Regen an. Wir nehmen also unsere Beine in die Hand und sehen zu, dass wir trockenen Fußes zum Ausgangspunkt unserer Reise zurückkehren.

Wir folgen zunächst einem Pfad über Wiesen. Nicht dass wir uns bereits oberhalb der Baumgrenze befänden, der Pfänder wird bereits seit geraumer Zeit vom Vieh beweidet, hier aber sind weit und breit keine Kühe und Kälber in Sicht. Nach kurzer Zeit schlagen wir uns erneut in den Wald. Hier beginnt die vielleicht größte Herausforderung unseres Ausflugs: Auf uns wartet ein kurzes Wegestück der Kategorie T4 auf der SAC-Wanderskala. Also braucht es Konzentration und auch die Hände, um weiterzukommen. Unter Rücksichtnahme auf den Anderen meistert jede und jeder von unserer Gruppe die Passage ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Doch bereits nach kurzer Zeit entspannt sich die Lage wieder und es geht weiter bergab in Richtung See. Nach knapp zwei Stunden, sechs Kilometern Strecke und, wen wunderts, 770 Hm erreichen wir unseren Ausgangsort, ohne mehr als zwei, drei Menschen begegnet zu sein.

 

Bevor wir mit der Bahn die Rückreise antreten, genehmigen wir uns im Trubel am See noch einen Eiskaffee. Sprichwörtlich im letzten Augenblick ergattern wir den Zug in Richtung Friedrichshafen. Ich sitze am Fenster und schaue hinaus auf die Landschaft. Während ich das so tue, beginnt es zu regnen. Es ist schön, gemeinsam mit “dem Rucksack” unterwegs zu sein, denke ich und bedanke mich innerlich beim Organisator Stefan für die stillen und steilen Pfade an einem der prominentesten Ausflugsziele am Bodensee, dem Pfänder. Bis bald.